Freitag, 20. Februar 2009


Broschek. Klingt ein bisschen nach Brosche. Anstecken. Im Innenraum – die Rede ist vom „Broschek“, der „entspannten Cafe-Bar“ – entdeckt die aufmerksame Besucherin oberhalb von Augenhöhe und Scheitel kleine „figürliche Elemente“: Kunstformen. In der Weichselstraße, Ecke Donaustraße, kann hier seit November letzten Jahres, wer möchte, in „stilistisch gebrochenem“ Ambiente Kaffee trinken, Kuchen, Suppen oder Prozentiges zu sich nehmen. Das Mobiliar erinnert ein bisschen an Eisdiele und 60’er Jahre Wohnzimmer gleichermaßen. Den Sofa’s jener Zeit fehlte das Schwere und Ausladende. Eher klein geraten, tasteten sie sich – verschämt – an „gediegenes Sitzen“ heran. Mehr Funktions- als Repräsentationsmöbel. Tun ihren Dienst aber bestens. Anfangs lief ich am Broschek vorbei. Keine ausladenden Fenster und Flügeltüren - wie mittlerweile üblich - bieten Hinweise auf das Innenleben als Cafe-Bar. Die Außendeko ist angenehm schlicht gehalten. Nichts schaut dich an, du schaust nicht zurück. Unter Marketinggesichtspunkten nicht unbedingt zu empfehlen, aber hier paßt’s. Manches will schließlich entdeckt werden. Die Kunstformen stellt der Betreiber des Cafes selber her. In seinem anderen Leben. Ein gelungenes Beispiel für Kunstnahme. Einkehren!

Samstag, 14. Februar 2009


Ich treffe H. in der Donaustraße. Sie kommt vom Einkauf. Zwei schwere Taschen ziehen ihre Arme lang und schützen mich vor einer überfallartigen Begrüßung. Ja, sagt sie, dass mit dem Kreisverkehr - dabei wiegt sie den Kopf leicht hin und her - ist so’ne Sache. Verkehrstechnisch gesehen, ist alles dicht. Nix geht mehr. Stillstand. Richtungswechsel sind ausgeschlossen. Also. Alles stehen und liegen lassen? Abhauen? Wer räumt den Müll weg? Aber mal was anderes. Sie wechselt abrupt das Thema, balanciert ihre Taschen neu aus, indem sie die rechte in die linke Hand, die linke in die rechte Hand führt und lagert dabei für einen kurzen Augenblick ihr Körpergewicht auf’s rechte Bein, um die Balance nicht zu verlieren. Aus dem Nichts wird nichts, haben sie uns immer gesagt. Ist das so?!? Mir kommen Zweifel, sagt sie. Das Nichts folgt dem Recht. Recht ist, was für zulässig gehalten wird. Zulässig ist, dass Macht Arbeit in Eigentum überführt. Hat die Arbeit keine Macht, verliert sie neben ihrem Recht auch ihr Eigentum. Ein Recht auf Enteignung bricht sich Bahn. Nicht nichts entsteht aus dem Nichts, sondern Vermögen. Rechtlich einwandfrei. Ja, wie nun. Mir wird schwindelig. Physiker, sagt sie, haben gezeigt, dass Schwarze Löcher sehr wohl die “Erinnerung” an ihre früheren „Selbst“ noch in sich tragen. Politik und Wirtschaft funktionieren offensichtlich anders. Leichter Blutstau an beiden Händen - die Plastikträger der Taschen haben sich nach und nach in die Finger gegraben - zeigt an, dass die Tüten nach Hause getragen werden wollen. Sie zögert auch nicht und lässt mich mit einem „Bis denn“ stehen.

... gradwandern ...


„Denn wenn ich schreibe, schreibe ich, egal wo, fast will ich rufen, egal wie, aber das ist Überschwang.“ *

„Umweg-Literatur“ hat mit der Welt zu tun. Sie erkundet, misst aus, entdeckt, beschreibt, rückt in’s Licht, verbindet, entwickelt Bilder und ist epochal, wo sie Zeitgeist auslegt, verdichtet und prägt. Sie atmet und lebt. Das schreibende Ich rückt in den Hintergrund. Im besten Fall färbt es Sprache und Gegenstand ein, ohne Schatten zu werfen. Stil. So bei Thomas Mann etwa Ironie und Distanz. „Direkt-Literatur“ irrlichtert um’s Ich. Das kann urkomisch, berückend, verstörend und erhellend sein. Häufiger ist es mäßig geschrieben, stumpf und uninteressant. Identitätsgefuddel oder Befindlichkeitsdrama. Immer hart am Kurzschluß entlang. Erfahrungsarm. Parasitär am - nicht im - Leben anderer grabend, um in der Spiegelung lebendig zu wirken. Selbstsuggestion und Eigentherapie. Felicia Zeller gradwandert. Ihr gelingt’s. Knapp drin, ist eben drin. Schon des Titels wegen muß man sie mögen: "Einsam lehnen am Bekannten". Das sitzt. Und klingt „irgendwie gut“. Es hinterlässt ein ebenso angenehmes wie unbestimmtes „Kenn-ich-Gefühl“. Durch Neukölln streift ihr Blick, rutscht an Adidas-Streifen ab, folgt den Alltagsdialogen, misst die Spannung zwischen literarischen Sujets und innerem Monolog, kolportiert Treppenhausgeschichten und beschreibt das Schreiben als Arbeit am Schreiben. Mit Überschwang.

* Felicia Zeller, Einsam lehnen am Bekannten, Düsseldorf 2008, S.53

Ein Kommentar zur Lage. Sonst so angenehm kryptisch, „wirkt“ die(se) Arbeit der Nachtschicht geradezu überdeutlich, mit einem Hang zur Melancholie. Der Frühschicht kann’s recht sein. So findet der Tag seinen Anker: nachdenken, nichts überstürzen. Aber auch: die Naht von den Lippen, Maul aufmachen und handeln - dann aber gemeinsam.

Samstag, 7. Februar 2009


„Im Straßenraum - gemeint ist das Quartier Donaustraße-Nord - sind deutliche Verwahrlosungstendenzen zu erkennen“, sagt uns die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Und winkt - oder droht?!? - mit Intervention. Randvoll ist die Tüte. Nicht weniger steht in’s Haus, als die „Verbesserung der Lebenssituation(en) und der sozialen Infrastruktur“! Da kann man schlecht nein sagen. Umsonst gibt’s natürlich nischt. Wir werden, so heißt es, „befähigt“. Nach Hartz IV ein weiteres Stück Volkspädagogik bei trocken Brot und Wasser? „Befähigt, das Gemeinwesen in Eigenverantwortung mitzugestalten.“ Schön. Also mitmachen. „Ziel ist, entsprechend der Komplexität von Problemlagen in den Quartieren, eine integrierte Entwicklung zu initiieren, die eine nachhaltige, soziale, wirtschaftliche, städtebauliche und ökologische Entwicklung im Verbund bewirken soll.“ Donnerwetter. Endlich mal Leute, die ihre Textbausteine aus Studienzeiten direkt in’s Leben werfen, nicht jammern und die Latte angemessen hoch legen. Sportlich, sportlich. Für so ein ambitioniertes Programm gewährt die Verwaltung dann auch die nötige Zeit. „Die Vertragslaufzeit - für den Träger, der das Bewerbungsverfahren „gewinnt“ - ist ab dem 01. April 2009 geplant und zunächst bis zum Jahresende 2009 begrenzt.” Ein neuer Trend, den die Verwaltung hier setzt. Apothekenpflichtig. Quartiersbeatmer auf Speed. Rastlos. Die kommen sofort aus dem Knick. Ob wir da noch mitkommen oder mitwollen?!? Vorgesorgt ist jedenfalls. Klappt’s nicht, waren die Bürger nicht aktiv genug. Denn, so wissen unsere Strategen, die „Bewohnerinnen- und Bewohneraktivierung ist konstitutiv für das Verfahren und durchdringt alle Verfahrensabläufe und Strukturen (Ideenfindung, Entscheidungsgremien, etc.).“ Gegen "konstitutiv" kann keiner mucken. Das hat schon beim Kaiser geklappt. Und nu, da es "das Verfahren" und wir selber sind, lassen wir uns halt durchdringen und schauen mal, was der Weg in's Paradies uns bringt.

Sonntag, 1. Februar 2009


„Ihre Boheme“ zeigt uns die "Neuköllner Oper". Entschlackt, befreit von aller Bräsigkeit und ohne Geigen-Schmelz orchestrieren 7 Musikerinnen und Musiker furios Puccinis Werk. Kongenial der Bühnenaufbau, karg, mit wenig mehr als dem, was die Sängerinnen und Sänger in den Raum „wuchten“ können. Kein Orchestergraben, das Publikum rundherum, zuweilen unmittelbar eingebunden in’s Geschehen. Hier will man alles zeigen. Das Leben, die Liebe, das Drama und den Tod. Nichts verschwindet im entrückten Bühnenbild. Mit Witz und - wie Versuchsanleitungen wirkenden - kleinen „Unterbrechungen“ holt die Inszenierung das Stück in unsere Zeit und macht eine Interpretation sichtbar und schlüssig: Nicht alles geht auf Kommando, (alte) Menschen haben ihren eigenen Rhytmus. Manche Melodie läuft in’s Leere, zu mancher Bewegung muß der richtige Takt erst gefunden werden. Orchester und Sängerinnen im Widerstreit um Einsätze und Fortlauf der Handlung. Selten wird so großartig „vorgeführt“, wie porös und dennoch kraftvoll - bis zum letzten Atem - das Leben sein kann. Dass die Sängerinnen und Sänger zumeist im fortgeschrittenen Alter - zwischen 50 und 70 Jahren - sind, muß eigentlich nicht eigens erwähnt werden. Es spielt keine „Rolle“ und stimmt dennoch ermutigend. Kleine Bühne. Große Oper. Unbedingt Hingehen.