Dienstag, 13. Oktober 2009

Still - Leben


Alles ist in Bewegung. Mensch, Tier, Pflanzen, Dinge. Nichts ist ausgenommen. Ruhe gibt es nur in Relation zu Bewegung. Wer schläft, wächst oder ist bereits im Verfall begriffen. Selbst auf dem Friedhof ist nicht zu bekommen, was die Inschriften vieler Grabsteine versprechen: Ewige Ruhe. Vielmehr: Zerfall, Vermischung, Übergang in organische Materie. Irgendetwas bleibt schließlich, wenn auch in anderer Form. Daraus ziehen Religionen ihre Trost- und Heilsversprechen. Die Illusion von Ruhe entsteht aus den unterschiedlichen Geschwindigkeiten, in denen Bewegung vorkommt. Im Vergleich zum Laufen ist das Sitzen eine ruhige Angelegenheit. Wir sind, mit anderen Worten, zu(r) Bewegung verdammt. Der Erdrotation kann niemand und nichts entgehen. Was uns bleibt ist, die Geschwindigkeit zu drosseln. Viele kluge Leute haben sich daher mit der Frage befasst, welche Geschwindigkeit dem Menschen angemessen ist. Eisenbahnfahren und Fliegen haben - wie wir wissen - mehrfach potenziert, was der menschlichen Physis möglich ist. Was hat das alles mit der Fotografie zu tun. Sie ist von allen Medien dasjenige, das glaubhaft die Illusion von Ruhe erzeugen kann. Das Bild, die Fotografie ist per se Stillstand. Ein Augenblick, eine Person, eine Situation, eine Landschaft ist fixiert. Der Geschwindigkeit enthoben, aus Ursprungsraum und Zeit „herausgenommen“. In der Hand der Betrachterin ist das Bild das einzige, das im Augenblick der Betrachtung nicht vergeht. Für das Material, den Bildträger - zumeist Papier unterschiedlicher Qualität - gilt dies nicht. Es strebt dem eigenen Verfall unaufhaltsam zu. Ob das nun 10, 50 oder 2000 Jahre dauert. Dasselbe gilt für die Betrachterin, nur das die Zeitläufe erheblich kürzer ausfallen. Versuchen wir es also mal mit einer neuen Fotoreihe. Die Fotokryptik gilt gemeinhin als ausgesprochen ungegenständlich, wenn nicht sperrig. Nun könnte es aber sein, dass Gegenständlichkeit und Kryptik sich in „Ruhe“, „Stille“, zeitlicher wie räumlicher Entrücktheit treffen. Um nicht zu sagen, ununterscheidbar werden. Still-Leben (1-10).

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