Freitag, 4. Dezember 2009

Neuköllner Visionen


Geht’s da wirklich lang? „Wenn sie es hier nicht schaffen“, sagt Klaus Lehnert, ehemals Rektor des Neuköllner Einstein-Gymnasiums und heute - als Ruheständler - Leiter des Campus Rütli, „dann schafft man es wahrscheinlich nirgendwo. (….), das sei das visionärste Schulprojekt, von dem er je gehört habe.“ So berichtet die Berliner Zeitung von gestern. Schwierig, nicht in die Nörglerecke zu geraten. Alles was hier auf den Weg gebracht wurde und wird, ist in jeder Hinsicht respektabel und sinnvoll. Was aber wird hier gezeigt? Nehme ich Geld in die Hand, lassen sich viele Dinge auf den Weg bringen, können Änderungen bewirkt, Motivation neu belebt und ein alle inspirierender Aufbruchsgeist entfacht werden. Zwiespältiger wird's, schaut man genauer hin. Was fehlte bisher? Die (1) Aufmerksamkeit gegenüber Schülerinnen und Schülern, zumal gegenüber denen, die aus Zuwandererfamilien kommen. Die (2) Selbstverständlichkeit, mit der eine Lernkultur, in der Neugier, Interesse, Motivation und die Lernlust von Kindern und Jugendlichen wachsen und gedeihen, gepflegt und gehegt wird. Der (3) politische Wille, ein durch und durch desolates, unterfinanziertes Bildungswesen als Problem und Aufgabe wahrzunehmen. Dazu gehören marode Gebäude, dem 19. Jahrhundert entstammende Bildungswege, überkommene Verwaltungsstrukturen und überforderte Lehrerinnen und Lehrer, deren Ausbildung nicht vorbereitet auf heutige Lebens- und Lernverhältnisse. Und - in der Diskussion kaum zu vernehmen, aber nach mittlerweile 50 verlorenen Jahren das größte Problem - die (4) Einsicht, dass nur Schulkollegien, in denen sich die Vielfalt an Sprache und Kultur der Berliner Bevölkerung wiederfindet, angemessen auf die Welt vorbereiten können und allen Kindern das Gefühl vermitteln, dass sie „angekommen“ sind. Ein schaler Beigeschmack bleibt also. Wenn das, was eigentlich normal sein sollte, dass Visionärste ist, was sich ein erfahrener Schulleiter vorstellen kann, muß es schlecht stehen um die Schulen in diesem Land. Was folgt daraus? Was Rütli recht ist, sollte allen anderen Schulen billig sein. Was brauchen wir? Einen Rettungsschirm für die deutsche Bildungslandschaft. Mit Ruhe und Bedacht organisiert, langfristig angelegt, mit Platz für Phantasie und Experimente. Als Regelfall, nicht in Form von Modellprojekten. Finanziert durch die Erträge der durch Staat und Steuergelder gepäppelten Banken und Steuern auf hohe Vermögen.

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