Dienstag, 13. April 2010

Am Bach


Vieles und viel Böses ist in letzter Zeit den Kirchen nachgesagt worden. Tröstliches war nicht dabei. Ehrenrettung kommt von Bach. Wem sonst. Dem Kirchenjahr hat er Töne und Texte verliehen, mit Kantaten und Passionen den christlichen Feiertagen musikalisch Denkmäler gesetzt. Die Berliner Philharmoniker haben eines davon, die Matthäuspassion, geschliffen, geputzt und mit Hilfe des Berliner Rundfunkchor’s und in der szenischen Dramaturgie von Peter Sellars auf die Bühne gehoben. Ganz großes Kino, würde es im Cineastenjargon heißen. Simone Rattle bot Orchester und Chor zweifach auf, versetzt und schuf damit Raum für Call und Response. Solistinnen wie Chor waren gefordert, häufig in Bewegung, im Raum verteilt, teils ganz auf den Rängen untergebracht. Es sind einfache Gesten, Bilder und Szenen, die Sellars Chor und Solistinnen abfordert. Ohne Pathos. Alltagstauglich und nahbar. So schließen Musik und Text an Erfahrungsgehalte an, die Leid und Leben mit sich bringen. Kulturübergreifend und zeitlos. Wem das zu banal ist, wer meint, ohne religiöse Imprägnierung ist Sinn und Gestalt dieser Musik und Überlieferung nicht zu haben, hat sicher Recht und Unrecht. Recht, weil es kein selbstverständliches, traditionsvermitteltes religiöses Einvernehmen im Alltag mehr gibt. Ostern reimt sich heute - im IHK-Sprech - auf Umsatz. Unrecht, weil auch in säkularisierten Welten Bach nach wie vor berührt. Er trifft einen Ton, der jeder und jedem auf der Haut liegt, mal feinstimmig, mal wuchtig, mal aufrüttelnd, mal klagend, mal jenseitig und innwendig. Schicht um Schicht pellt Bach uns aus Hörigkeit, Schuld, Tod und Nachfolge heraus. Mitten rein in Verstand, Verantwortung und Annahme. Verweigern darf man sich auch! Seligkeit liegt, unpeinlich - cool, wie es heute heißt -, gleich nebenan und nimmt den oder die mit, die glauben wollen. Das Orchester groovt - im Popdiskurs würde man sagen - wie Sau. Das kommt derart samten und gediegen daher, dass man glaubt, auf Moos zu laufen, federnd, Auftrieb gebend, selbst in den Stunden tiefster Depression. In den sparsam instrumentierten Arien rücken die Instrumentalisten den Sängerinnen und Sängern an die Seite, dem Orchester enthoben. Als Evangelist brilliert Mark Padmore. Glasklar im Ton, kein Geknödel, die ganze Bühne nutzend, mal liegend, mal innig den anderen Solistinnen direkt zugewandt, bleibt er stimmlich selbst in ganz ruhigen, fast gehauchten Passagen, den Riesensaal füllend, präsent. Umwerfend.
-->Camilla Tilling, Magdalena Kožená, Topi Lehtipuu, Thomas Quasthoff und Christian Gerhaher stehen ihm nicht nach. Mehr geht nicht! Bach wäre nicht Bach, hätte er nicht auch einen Weckruf zur inneren Einkehr an all die Benedikt’s und Mixa’s dieser Welt, die irrlichternd und doppelzüngig unterwegs sind, in der Matthäuspassion untergebracht:
„Ich bins, ich sollte büßen,
An Händen und an Füßen
Gebunden in der Höll,
Die Geißeln und die Banden
Und was Du ausgestanden,
Das hat verdienet meine Seel.“

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen