Montag, 30. Oktober 2023

Donnerstag, 26. Oktober 2023

Sonntag, 22. Oktober 2023

Mittwoch, 18. Oktober 2023

Ein Bild ist (k)ein Bild

Ein Bild ist ein Bild. Als Satz, folgt man den Konventionen, ist dies wohl "wahr". Ohne Bezug auf ein materielles Substrat ist eine Überprüfung allerdings nicht möglich. Anders formuliert, der Satz macht keinen "Sinn". Er braucht einen Anker außerhalb der Sprache. In der Wirklichkeit, wie man zu sagen pflegt. Es geht dem Satz also eine Erfahrung voraus: dass wir ein Bild, was immer es zeigt und festhält, als Bild bezeichnen, wenn wir uns in einem alltäglichen Handlungszusammenhang über das, was wir Bild nennen, unterhalten, es produzieren, es erwerben, es zur Entwickung geben, es besprechen, es nutzen oder beurteilen. Soll Koordination der Sache nach möglich sein, müssen alle Beteiligten das Bild als Bild behandeln. Nun sind Bilder immer zugleich Zeichen, Sinn und Bedeutung als auch Material und Form. Das Bild, mit und in seinen im Prinzip unendlich vielen ästhetischen Dimensionen, ist ohne das genutzte Material - (Foto)Papier, Leinwand, Farben, Chemie usw. - sowie die eingesetzten künstlerischen wie technischen Verfahren nicht darstellbar. Es erscheint nicht, kommt nicht in die Welt, besitzt keine vom Material unterschiedene Form. Es muss also eins zum anderen kommen, soll ein Bild zum Bild werden. Ist es erst einmal da - geschaffen -, kann es (s)ein Eigen- bzw. ein Zweitleben entwickeln. Als individuelle Vorstellung, als kollektiver Gesprächsstoff, als veröffentlichte Bildbeschreibung, als "Kopie" ist es auf das stoffliche Substrat nur mehr bedingt angewiesen. Gleichwohl kann mit dem Bild in stofflicher Form auch anderes anzufangen sein. Eine Fotographie im Format DIN A2 kann gerollt und als kurzer Schlauch oder als Megaphon genutzt werden. Eine Leinwand kann dem Durchsieben von flüssiger Masse dienen oder als Maske aufgezogen werden. In beiden Fällen hören die Bilder auf Bilder zu sein. Sie stehen in einem (Handlungs)Kontext, der ihnen eine neue Bedeutung zuweist. Kommen wir auf die Anfangsaussage zurück. Der Wahrheitsgehalt der obigen Aussage ist, mit Blick auf soziale Komplexität, "halbwertig". Wahrnehmung, Realität, Begriffe und Bilder stehen in einem - wie es heute oft heißt - so komplexen wie volatilen Verhältnis zueinander. Mal flüchtig und zufällig, mal professionell inszeniert und sorgsam geplant, meist gebrauchsabhängig und wechselseitig aufeinander verweisend und angewiesen. Einerseits ein Hinweis auf die große Freiheit, die uns im Umgang mit Bildern "zusteht". Anderseits - bildabhängig, wie wir heute geworden sind - eine Aufforderung, Bildern zu mißtrauen, Kontexte bewußt wahrzunehmen, zu recherchieren, Interessen nachzuspüren und Herstellungsprozesse transparent zu machen, um urteilsfähig zu werden. So sind heute mit Selbstverständlichkeit und mit Macht in jedes Wohnzimmer transportierte “Bilder kriegerischer Gewalt (...) gleichermaßen kommerzielle Waren und propagandistische Waffen. Vor allem Kriege, an denen die großen Mediennationen militärisch beteiligt sind, werden als globale visuelle Medienereignisse geplant und in Szene gesetzt”, wie aktuell die Berichterstattung über den Ukrainekonflikt anschaulich macht.
Was heißt das für die Fotokryptik? Ihre Bilder kennen Gegenständlichkeit, aber suchen sie nicht. Darin sind sie der abstrakten Malerei verwandt. Diese holt Sehgewohnheiten aus der Routine, erzeugt Interferenzen von Bildfläche und Bildgegenstand, experimentiert mit Farben und Formen, löst Gegenständlichkeit auf und macht die Betrachter zu "Bildproduzentinnen". Die Ergebnisse sind "kontext - entbunden", in gewissem Sinne "leer". Sie kommen ohne Bedeutung und Botschaft daher, sie dokumentieren nicht, besitzen keine sichtbare Zeitreferenz. Einmal in der Welt, stehen sie nur "für sich selbst". Da, wie Gehlen schreibt, „das abstrakte Bild zugleich mit dem Gegenstand das Wiedererkennen” abträgt, liegt die Bildwirkung in der „unmittelbare(n) und nicht ausgefaltete(n) Rationalität des Auges selbst.” Es sind, wie Gehlen weiter schreibt, “die gestaltpsychologischen, den Zentren der Wortbildung naheliegen Schichten der Seele” (Arnold Gehlen, Zeit-Bilder, Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt/M. 1986, S.16). Etwas, was begrifflicher Rationalität und ausgewiesener Bildrepräsentanz vorausgeht, sie aber - wie auch Orientierung, Wahrnehmung und Alltagshandeln - zu weiten Teilen trägt. Und - wichtiger noch - sie bildet und permanent neu justiert. Enthebt sie das der Gefahr, für andere - sehen wir vom Kunstbetrieb ab - Zwecke ge- oder mißbraucht zu werden? Auf Papier oder Leinwand gebannt, können sie sich im Zweifelsfall einer anderen Nutzung nicht entziehen. Als Bild, begrifflich wie als optisch-ästhetisches Ereignis, bleibt es Bild. Es öffnet Räume, limitiert nicht, bevormundet nicht, will nicht überzeugen, übermittelt keine Botschaften, ist niemandem verpflichtet. Den Betrachterinnen bleibt überlassen, ob sie dem Impuls folgen.
Ist die Flucht in die Abstraktion eine Flucht vor der Realität? Sicher nicht, wenn wir akzeptieren, dass - ob als ansprechend, schön oder unangemessen empfunden - Sehen und Wahrnehmen alle Stufen vorreflexiver Erfahrung bis hin zu begrifflich wie mehodisch ausgewiesener Bildauslegung umfasst. Auf Seiten der BildproduzenIinnen wie der RezipientInnen geht die Entscheidung voraus, ein Stück Lebenszeit in Produktion wie Anschauung zu investieren. Ein Luxus? Ja, wenn wir bedenken, dass in vielen Teilen der Welt alle Zeit in die Sicherung des Nötigsten zum Lebenserhalt geht. Nein, wenn wir in Rechnung stellen, wie viel Lebenszeit in hiesigen Gesellschaften - ob in Arbeit oder Freizeit - mit Abseitigem verbracht wird. Kommen wir nochmals auf den Anfang zurück. Ein Bild ist ein Bild. In der Abstraktion liegen Öffnung und Schließung eng beieinander. Bezogen auf ihre Wirkung entwickeln sie ein Eigenleben, wo und wann immer sie als individuelles, ästhetisches Erlebnis oder als kollektiver Gesprächsstoff und öffentlich medialer "Gebrauchsgegenstand" nachhallen. Sie bleiben Bild und wandern zugleich, so sie Aufmerksamkeit finden, in kommunikativ-soziale Welten ab. Mit der Entscheidung, Realität als Referenzrahmen eines Bildes zu ignorieren, schließen sie andererseits einen instrumentellen Gebrauch für Politik, Werbung, Dokumentation, Berichterstattung u.v.m. weitestgehend aus. Adelt dies die Fotokryptik? Nicht im Geringsten. Es geht nicht um das Setzen normativer Maßstäbe, lediglich - wie vorläufig auch immer - um Klärung von Möglichkeiten und Reichweite.
„Sieh nicht auf die Uhr und kümmere dich nicht um den Titel”, so zwei von etlichen Tipps eines Ratgebers für das Betrachten abstrakter Bilder. Damit läßt sich leben und arbeiten.

Samstag, 14. Oktober 2023

Dienstag, 10. Oktober 2023

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Montag, 2. Oktober 2023