Um die Urteilskraft, um die ästhetische insbesondere, scheint es schlecht bestellt zu sein. Ist es Mißtrauen? Sind es lediglich wohlmeinende Hinweise, Einführungen? Ist zum besseren Verständnis gedacht, was mit wohlgesetzten Worten Leitplanken auslegt, damit BesucherInnen eine Ausstellung gefahrlos überstehen? Lange vorbei die Zeit, als Kunstausstellungen sich mit einem Katalog begnügten, der gekauft und zuhause gelesen wurde, der im Nachhinein das Gesehene kunstgeschichtlich einordnete, Zeitgeschichtliches notierte, für Arbeitsweise und Motive der KünstlerInnen Erhellendes beisteuerte und auf interessierte LeserInnen setzte.
Solvej Helweg Ovesen kuratiert. Sie ist streng. Sie weiß, wie die Kunst ihren Platz in einer komplexen Welt behaupten kann. Ihre Aufgabe, die der Kunst, sagt sie, besteht darin, „Raum für die Sichtbarmachung, das Bewusstsein, das veränderte Selbst und die Energie für die notwendigen Übergange“ zu schaffen. Das ist mal eine Ansage! Worauf sie sie gründet? Da „Systeme, Natur, Institutionen und Biopolitik im Begriff sind, sich aufzulösen, und die Gesellschaft sich innerhalb oder nach der gegenwärtigen Polykrise neu formt, stehen wir vor der Herausforderung, unsere Kompetenzen und unser Leben zu verändern, um vielfältiger und polyvalenter zu werden.“ Wohin, warum, von wem angestoßen, zu welchem Zweck, mit welchen Folgen, erklärt sie uns nicht.
Es ist die Gesellschaft, die sich neu formt. Eine - unsere - Beteiligung ist nicht gefragt, Anpassungsleistungen sind gefordert: wir müssen vielfältiger und polyvalenter werden. Ein Ausstellungsbesuch als Läuterung und Lebensberatung? Ein Ausstellungsbesuch, der uns zeigt, ob wir das Zeug dazu haben, künftig Polyvalenz zu leben oder doch eher im Wege stehen, wenn es gilt, Übergänge in eine schöne neue Welt zu finden?
Die Künstlerinnen sind da - Kunst sei Dank, möchte man sagen - entspannter. Sie widerstehen dem Impuls, ihren Objekten eine Allzuständigkeit aufzubürden. Sie machen, zeigen und stellen aus, was KünstlerInnen schon immer gemacht, gezeigt und ausgestellt haben. Mit mal mehr, mal weniger Material, opulenten wie verhaltenen Farben, behauenem, gewebtem, gewickeltem, gedrechseltem, bedrucktem Stoff, Ton, Stein, figurativen Elementen, medialen, mal interaktiven, mal rein rezeptiv angelegten Produktionen und performativen Elementen.
So individuell die Objekte, so wenig gehorchen sie der ausgerufenen Marschrichtung. Mal verspielt, mal ver-rückt, mal raum-greifend, mal viel-schichtig und vielgesichtig, apellieren sie an Offenheit und Neugier. Dass die eine oder andere Künstlerin ihr ästhetisches Schaffen als 'Vorschein' auf Künftiges, als Kommentar oder Frage zum fragilen Zustand moderner Gesellschaften anlegt, macht aus einer Ausstellung kein Seminar. Also: Hingehen, sich von 'betreutem Sehen' freimachen und dem ästhetischen Eigensinn der Ausstellungsobjekte wie der Lust, sich verführen, ent-grenzen und/oder ent-täuschen zu lassen, folgen.
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