Einen interessanten Gedanken hat Frank Schirrmacher
angesichts des Rücktritts von Christian Wulf - kennt den noch jemand? - in die
Welt gesetzt. Der führt zum Thema Pop
zurück. Nun scheint an Christian Wulf nichts darauf hinzudeuten, dass Rock und
Pop Spuren hinterlassen hätten. Kein Rhythmus, keine Coolness, kein
„Übersprungsdenken“, kein „ästhetischer Habitus“, der über den Stolz auf das
bestandene Abitur hinaus „wirksam“ in die Welt gefunden hätte, keine Empathie
für „das Ungerade“. Einzig: Mit sich selbst im Reinen. So rein, dass nicht mal
ein Gespür für den zuweilen vorhandenen Abstand von Stand und Anstand, von Hof
und Haltung, von Dienst und Dankbarkeit verblieb. Ob er singen kann? Ich weiß
es nicht. Mit Christian Wulf als Vertreter der Babyboomer-Generation (die
Jahrgänge 1955 – 1970), so schreibt Schirrmacher, implodiert das politische Lebensmodell einer ganzen Generation.
„Ihr Fehler war zu glauben, dass Märkte auch schon Ideen sind. Ideen setzen
sich nicht durch wie Starbucks-Kaffee oder Popkultur.
(…) Sie musste für ihr Lebensgefühl, ihre Musik, ihre Mode, ihre Sprache nicht
kämpfen - im Gegenteil: Es waren Antriebsaggregate für Märkte, die ganz schnell
die ganze Gesellschaft erfassten.“ Was sagt uns das, wenn wir den
mitschwingenden konservativen Duktus, hier hätte eine ganze Generation den
Preis ohne Schweiß eingestrichen, einmal außen vor lassen?
Markt und Pop, wo nicht identisch, gehen ein intimes
Verhältnis ein. Wo Märkte wachsen, ist Pop
ein Schmiermittel, das Arbeit und Alltag mit sinnlich-ästhetischen wie
performativen Tand auflädt. Ist über Jahrzehnte schließlich alles, bis in die
letzten Winkel, „ausgemalt“, wird - nehmen wir die Popkultur bei ihrem
rebellischen Anspruch - aus einem Statement
Status. „Es ist im Prozess des ideologischen Alterns kein Zufall, dass der
Neoliberalismus als Utopie Ende der neunziger Jahre (in der BRD) genau in dem
Augenblick reüssierte, da diese Generation das vierzigste Lebensjahr zu
überschreiten begann. Denn jetzt ging es nicht mehr um Veränderung der Welt durch Konsum, sondern durch Akkumulation von Kapital für die zweite
Lebenshälfte.“ Vom Kaufen zur Vorsorge. Die kennt vor allem eine Richtung: Festhalten,
was erreicht ist. Immobilisieren.
Popkulturell gesprochen: Kanonisieren.
Kein Mut, kaum Zuversicht, gepaart mit einer „herrischen“ Attitüde in der
Abwehr und Abgrenzung gegen alles und alle, die „von unten“ nachwachsen und
fordern. Ein Bild von Freiheit,
Gleichheit und Geschwisterlichkeit ist damit nicht mehr zu gewinnen. Unter
diesem Gesichtspunkt liest sich der „Aufruhr“, der 2011 England erschütterte,
noch einmal neu. Die Erschöpfung, die
ein ganz auf Markt abgestelltes Konzept von Vergemeinschaftung erzeugt, teilen
alle. Die einen am goldenen Ende, die anderen am Katzentisch. „Gestritten“ wird
um „Marktzugang“ bzw. um den „legitimen Anteil am Warenangebot“, nicht um die
Frage, in welcher Form, bei Berücksichtigung unterschiedlicher Interessen, die
„Mit-Arbeit“ aller herzustellen bzw. der „politische wie soziale Ausschluss“
großer Teile der Bevölkerung zu beenden ist. „Die Babyboomer verfolgen“,
schreibt Ulrike Hermann in gleicher Sache, „die falsche Anlagestrategie. Sie
erwerben am liebsten Immobilien – dabei müssten sie in die Ausbildung der heute
benachteiligten Kinder investieren. Denn nur diese Arbeitskräfte von morgen
können jenen Reichtum erwirtschaften, den sich jetzt schon alle sichern
wollen.“ Dies setzte freilich voraus, dass der „popkulturelle Duktus der ersten
Stunde“ als Haltung wieder einzieht
in Köpfe und Herzen, Parteien und Parlamente: Genau hinschauen, sich einlassen,
querdenken, Vielstimmigkeit zulassen, sozial-kulturelle Empathie entwickeln,
Interessen abstimmen in Offenheit, Neugier und horizontaler Kommunikation, mit
anderen Worten: Am Gemeinwohl arbeiten.
Singen geht natürlich auch!
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