Dienstag, 17. November 2009

Neuvermessung


Mehr und mehr Fotografinnen bekennen sich zur Fotokryptik. Nicht direkt, aber doch ausgesprochen unausgesprochen. So jüngst Bettina Pousttchi. Sie hat, „leicht verrückt“ und nicht am originären Standort, den Palast der Republik wieder auferstehen lassen. Im Ensemble der umliegenden Schwergewichte - Berliner Dom, Alte Nationalgalerie, Zeughaus - wirkt der „neue Palast“ zierlich. Ihm fehlen die Größe und die Spiegelflächen, in denen sich, je nach Standort der Betrachterin und des Betrachters, die umliegenden Gebäude einst brachen und immer neu konfigurierten. Das Reizvolle ihrer Arbeit besteht darin, dass hier Erinnerung, Vorstellung und die „Neuausmessung“ des Geländes einen Anker finden. Imaginieren muß jede und jeder für sich selbst und im begleitenden oder nachfolgenden Gespräch mit Anderen. Ihr „Bekenntnis“ zur Foto-Kryptik formuliert Bettina Pousttchi so:
„Die Fotografie ändert sich derzeit fundamental, denn ihr Referenzsystem ist im Umbruch. Dem fotografischen Bild wohnte immer auch ein Realitätsversprechen inne. Doch im gleichen Maß, wie sich unser Verständnis von Realität heute ändert, verändern sich auch die technischen Möglichkeiten der Fotografie. Weniger denn je scheint sie heute eine Spur des Realen im Sinne Roland Barthes’ zu sein. Meine Fotografie hat als Referenzpunkt mediale Bilder. Bei meiner Installation waren es Archivbilder des Palastes, die mir als Ausgangspunkt dienten. Die Collage bildet aber weder den Palast noch sein mediatisiertes Bild ab, sondern schafft eine eigene Realität.“ *
Lösen wir die lineare Kausalität zwischen Realitätsverständnis und technischen Möglichkeiten auf und verzichten wir auf’s „Gleichmaß“, kommt’s hin. Technik, meist in externen, kunstfremden Zusammenhängen entwickelt, öffnet „Tore“ für eine andere Bearbeitung von Realität. Sie setzt frei, was in Vorstellung und Phantasie bereits Raum hatte und nun - technisch gestützt und mit vielen Anläufen und Experimenten - „ins Leben“ gesetzt werden kann. Ob die Technik dem Realitätsverständnis oder das Realitätsverständnis der Technik folgt, gehört zu den Fragen, die nicht zu beantworten sind. Die Arbeit von Bettina Pousttchi öffnet noch ein anderes Tor. Stadtentwicklung findet hier ein Modell, das Stadtraum „greifbar“ visualisiert, begehbar macht und zur Diskussion und „Abstimmung“ stellt.

* „Spiegelungen einer potenziellen Stadt“; SPEX 11/09, S.91

1 Kommentar:

  1. Das Eifache, das so schwer zu machen ist. Bertold Brecht.

    Grüße

    herb

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