Samstag, 20. Februar 2010
Herrenreiter
Der Bürger und die Bürgerin kommen aus der Mode. Dafür wird das „Ausbürgern“ chic. Geistesgrößen aller Art und Provenienz loten aus, wie man Bösartigkeit, Ignoranz und Selbstsucht eine schicke Girlande binden kann. Spitzer Stil, eitle Gesten, Herrenattitüden und der nötige Tick Ironie, der den Rückzug sichert, wenn das nachfolgende Echo ergeben sollte, das man den Konsens denn doch (noch) nicht ganz getroffen haben sollte. Abseits stehen möchte man schließlich nicht. BAT, eine ordentliche Pension und vielerlei Zubrot sind hübsche Dinge, die das Leben erträglich machen. Was also ist es, was Herrn Sloterdijk und andere so umtreibt und verzweifeln lässt. Der moderne Staat, so Sloterdijk, "habe sich binnen eines Jahrhunderts zu einem geldsaugenden und geldspeienden Ungeheuer von beispiellosen Dimensionen ausgeformt. Mit der "progressiven Einkommensteuer" habe der Staat ein "funktionales Äquivalent zur sozialistischen Enteignung“ entwickelt. Im Resultat lebt gut die Hälfte jeder Population moderner Nationen weitgehend von den Leistungen der steueraktiven Hälfte." Will sagen, die Unterschichten auf Kosten der Mittel- und Oberschichten, die Nichtsnutze auf Kosten der Leistungsträger. Was könnte helfen? Sloterdijks Antwort lautet: Wir brauchen "nicht weniger als eine Revolution der gebenden Hand. Sie führte zur Abschaffung der Zwangssteuern und zu deren Umwandlung in Geschenke an die Allgemeinheit - ohne dass der öffentliche Bereich deswegen verarmen müsste." Will sagen: Die Ackermänner und Schickedanzfrauen dieser Welt bringen Schenkungen nach Gutdünken, Lust und Laune. Nun wäre gegen Utopien und frohe Hoffnungen nichts zu sagen. Nach vorne denken kann einer Gesellschaft, der die Ideen ausgehen, nur helfen. Beunruhigend an diesen Diskussionen sind drei Dinge. Die Zustandsbeschreibungen, die Sloterdijk und Sarrazin geben, finden in der Empirie keinen Anker. Sie sind schlicht herbeigeschrieben, mal Stimmungsmache, mal selbstsuggestive Geste eines sich zu Höherem berufen fühlenden Zeitgeistphilosophen. Feullitiongeraschel. Ernster muß man nehmen, dass Beiträge dieser Art viel Beifall finden in den Chefetagen von Wirtschaft, Politik und Medien und als mutiger Schritt, gar Widerstand in einer ansonsten „sozialdemokratisch sedierten“ Öffentlichkeit beschrieben und begrüßt werden. Daraus lassen sich mächtig ‚Westerwellen’ schlagen. Wirklich erschüttern muß die Geste, in der hier philosophiert wird. In den Beschreibungen fließen spürbar Verachtung, Engstirnigkeit, politischer Alarmismus und eine gespielte Naivität zusammen. Handlungsempfehlungen ohne Beipackzettel. Im Kern geht es um das Schleifen von Gleichheit und Bürgerstatus. Sarrazin plädiert für’s Ausbürgern und pflegt rassistische Ressentiments. Sloterdijk schiebt, wie immer mit großer Geste, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit an die Kante und bietet, sprachlich verbrämt, ein altes Programm an: Herrenmenschen, Elite, Rasse und (Selbst)Zucht. Beide sind im übrigen „Staatsdiener“, es fehlt ihnen an nichts, dem Steuerzahler sei Dank. Das zeichnet demokratisch verfasste Gesellschaften aus: Das selbst die, die ihr skeptisch bis feindlich gegenüberstehen, ein auskömmliches Einkommen erwarten dürfen. So sollte es auch bleiben. Für alle.
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