Sonntag, 3. Januar 2010

Weltblick


Für uns Kinder waren Kaufhäuser - wie Karstadt oder das mittlerweile abgewickelte Hertie in der Karl-Marx-Straße - ein Faszinosum. Sie boten Freilauf. Keine Fachverkäuferin an der Hacke. Erlebnisse ohne Pädagogen. Alles was nicht erreichbar, aber als Wunsch auf der Seele brannte, war greifbar nah. Anschauen, anfassen, fühlen. Ein unüberschaubares Sortiment. Nicht bloß Bild, wie im Katalog, sondern auf ‚Du und Du’, als dingliches Versprechen. Der Einbau von Rolltreppen in den 50er und 60er Jahren war eine kleine Sensation. Nach der Schule hieß es, rin in’s Kaufhaus. Solange, bis Angestellte das Treiben auf der Rolltreppe unterbanden. Die Fahrstühle boten keine Alternative, da sie zu dieser Zeit noch mit einem Liftboy, meist ältere Herren, besetzt waren. Fernsehen war knapp bis gar nicht, Kino nur selten bezahlbar. Die große weite Welt erschloß sich im Kaufhaus. Banales wie Nützliches, aufregend Neues und technisch noch nie Gesehenes und alles - im Gegensatz zum eigenen Heim - gediegen, schön, neu, sauber und wunderbar in Szene gesetzt und ausgeleuchtet. Prunk. Auch für’s gemeine - Neuköllner - Volk.

1 Kommentar:

  1. Ahoi Christoph!

    Für uns Kinder gab es diese Variante.

    Eine Kultur lebt vor allem in der Mannigfaltigkeit ihrer Berufe. Jeder von ihnen bringt, abgekapselt in seiner Zelle, für sich Gesichtsausdrücke, Kleidung, Sprachen, Haltungen, rührende oder scherzhafte Anekdoten, eine Pädagogik, eine Moral hervor. Das waren Werkstätten bis vor kurzem: Kulturinseln, sich selbst genug; Königreiche, in denen der König „Mastro“ genannt wurde, d.h. Meister des Hammers, der Axt, des Schustermessers, der Drehbank … Historische Orte und geweihte Stätten, deren veralterte Techniken, deren edler Phalanstere-Geruch in keine Enzyklopädie mehr aufgenommen wird.


    Noch flüchtiger die umherziehenden Tätigkeiten, die mit Zustimmung der Sonne, des Regens, des Windes im Freien ausgeübt wurden: Schelmenberufe, für ein Kind, das ich kenne, Bilder beneideten Glücks.

    Der Scherenschleifen, der Ausrufer, der Fisch-verkäufer usw.

    Grüße

    herb

    Gesualdo Bufalino Museum der Schatten. Klaus Wagenbach Verlag

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