Mittwoch, 9. Februar 2011

Vorbeisehen


Ablegen, liegen lassen, vergessen. Aus dem Auge, aus dem Sinn. Eine Vorform des Verschwindens. Des unbedachten Abschiednehmens. Ein klein bisschen gewollt, verschämt beiläufig erledigt, häufiger auch gänzlich absichtslos. Kein gespürter Verlust, mehr ein Räumen. Platz schaffen. Beiseite legen. Was das mit der Foto-Kryptik zu tun hat? Bilder machen und begründen keinen Sinn. Sie tragen das Signum des Vergessens bereits in, besser, an sich. Sie ordnen bzw. räumen. Ununterbrochen. Anders formuliert, sie tackten ein, geben Raum und Zeit Struktur und Betrachterinnen und Betrachtern Orientierung. Hielte sich jemand an einem „Bild“ zu lange auf, fällt sie oder er aus „dem Rahmen“. Im „Alltagsmodus“ undenk- und nicht lebbar. Belanglos wird das Bild, werden Bilder dadurch nicht. Sie „halten“, als Sehen, am Leben. Tag für Tag. Sinn geben Kontext, Gruppe, situatives Erleben, ästhetische Gepflogenheiten, Kommunikation und vieles mehr. Heben Kunst und Muße Bilder aus Fluß und Geschwindigkeit heraus? Nicht wirklich. Sie erwirken einen zeitlichen Aufschub und schaffen Resonanz für eine Reflexion, die aus dem Verschwinden ein bedachtes Abschiednehmen - so oder so - macht. Im Wissen darum, das ich Ort und Gegenstand des Betrachtens verlassen muß, dass jede Bildbetrachtung eine Bilderflut auslöst, die das Vorhandene „kenntlich stanzt“ und mit allerlei Bedeutungen „überwölbt“ und „verdrängt“, liegt der Gewinn - neben dem ästhetischen (Miß)Vergnügen - im Genuß daran, „Zeit gehabt“ zu haben. Die Foto-Kryptik, kommen wir auf den Anfang zurück, kennt keinen Stil-Willen, keine Objektreferenz, keine Ordnung. Ablegen, liegen lassen, vergessen ist ihr ein so selbstverständlicher Bewegungsmodus, wie Betrachterinnen und Betrachter die Bildinformationen im Vorbeisehen vergessen, um Platz zu schaffen für’s Leben.

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