Kommt was?
Wir leben in einer Zeit "des" Übergangs (manche sprechen von Zeitenwende). Ist das eine Behauptung? Eine Überzeugung? Übergang wohin? Fühlt man ihn? Wer oder was löst ihn aus? Gibt es Hinweise, Zeichen, Belege? Beunruhigt uns das, was wir glauben, sehen zu können? Ist er, "der" Übergang, schon mit dem Aussprechen in der Welt? Brauchen wir ihn als Selbstvergewisserung, dass etwas in Bewegung ist? Dass wir in Bewegung sind, noch am und im Leben? Wer hilft beim Entziffern von Zeichen? Und wieviel Deutungen halten wir aus, ohne die Übersicht zu verlieren? Ist Verständigung möglich bei einem vielstimmigen Chor und unzähligen Sprachen? Hilft Orientierung aus zweiter Hand? Wer könnte diese bieten? Die Soziologie, der jüngst mehrfach „dramaturgische Anschlussfähigkeit“ beschieden wurde? Sind es die Künste, die als Seismographen und Boten gelten, die "dem" Übergang Ausdruck verleihen, ihn bearbeiten, in Herkunft, Gestalt und Wirkung verständlich machen können? Viele Fragen, fünf Antworten, keine Lösungen.
Am Anfang
„Ende, es ist zu Ende“, lässt Beckett Clov am Anfang seine Dramas 'Endspiel' sagen. Und weiter: „es geht zu Ende, es geht vielleicht zu Ende. Ein Körnchen kommt zum anderen, eins nach dem anderen. Und eines Tages, plötzlich, ist es ein Haufen, ein kleiner Haufen, der unmögliche Haufen.“ Das sieht, wenn man es recht bedenkt, nicht nach Ende aus. Eher nach einem Räsonieren, einem es könnte, es hätte, es würde, ohne die Unbedingheit, die Gewissheit, das es vorbei ist. Ein 'unmöglicher Haufen', seien es Kleinigkeiten, ein großes Vorhaben, gar ein ganzes Lebens, braucht Kraft, Umsicht, Empathie, Engagement, Kommunikation und Gemeinschaft. Selbst wenn er, der 'unmögliche Haufen', nicht gelingt. Der Versuch bereits bringt etwas 'Mögliches' in die Welt. Sinn, sagen wir es altertümlich, Erfüllung, das will uns Beckett wohl sagen, ist mit all dem allerdings nicht verbunden. Wie auch. Spielen wir also: „Das Ende ist im Anfang, und doch macht man weiter.“ Wie geht das, bei all den großen wie kleinen Katastrophen, Kriegen, bei individuellem Leid und 'gesellschaftlichen Depressionen'? In Routinen und eingespielten Kommunikationen. Geht der eine oder stirbt der andere, ist's vorbei mit dem Spiel. Solange aber - das bringen Ulrich Matthes und Wolfram Koch im Deutschen Theater am 23.12. wieder auf die Bühne - tänzeln sie umeinander herum, gehen abwegigen Assoziationen nach, hinterlassen spachliches Splitterwerk, das die Anschlussfähigkeit der Kommunikation ein ums andere Mal auf die Probe stellt, feiern kurzfristige Siege mit kleinen wechselseitigen Quälereien, kreisen im Gelände und unterhalten ganz großartig mit „betont plumpe(r) Gestik eines mittelmäßigen Pantomimen (und) brillanten Clownsnummern.“ Wiederkehr des Immergleichen. Raum und Zeit - in Auflösung - schmerzlich eng. Dem Blinden gelingt der Zugriff auf die Welt über Zuruf und Befehl, der Sehende lässt seine Macht zuweilen in gezielter Zuteilung oder Verweigerung von Diensten und Auskünften spüren. Herr und Knecht brauchen einander, so fragil ihre Beziehung auch sein mag, soll die Welt nicht gänzlich stillstehen. Und so schlägt denn doch das zweiseitige "Insichkreisen" ein paar Funken. Nichts Greifbares, aber eine Zustandsanzeige. "Ich fühle mich etwas erschöpft", klagt Hamm, "die fortgesetzte schöpferische Bemühung." Dem können wir zustimmen. Hatte doch Clov, beim Blick durch die nicht vorhandenen Fenster mit imaginiertem Fernrohr ins Publikum spähend, vermeldet: "Ich seh ’ne begeisterte Menge." So ist es. Wir verlassen das Theater beschwingt und in der Gewissheit, dass wir „an (unserer) Geschichte weitermachen, sie beenden und eine andere anfangen“ können.
Mittendrin
Mehr Fragen als Antworten: Theater eben. Das verbindet Beckett mit dem jungen Ensemble, das mit „Bis keiner weint“ ein fourioses Musical auf die Bühne der Neuköllner Oper bringt. Die naheliegenste Frage natürlich, warum denn keiner weinen sollte. Was ist daran schlecht? Geht es um die Abwehr übergriffiger Dramaturgie und billiger Effekte, die die ZuschauerInnen an den Emotionen packen, um das Nachdenken zu 'verstellen'? Wir sehen schnell, es geht um etwas anderes. Es geht um Verletzungen. Unbeabsichtigte, gezielte, 'leicht' daherkommende und gesellschaftlich geduldete, wo nicht strukturell angelegte. Sie provozieren Herabsetzungen und Mißgunst, führen zu Streit und Ausschluss. Normativ und hoch moralisch aufgeladene Debatten um Identitäten und Gender zeugen von der Dringlichkeit, die das Thema für betroffene Gruppen hat. Was, wie und wo immer man anfasst, schlägt das Spiel, anders als bei Beckett, in 'Kampf' um. Vom Ende her ist hier nichts gedacht, alle sind mittendrin und müssen sich behaupten. Zeitlichkeit pur und Nahräume, die mit fehlenden Distanzen in kurzschlüssige Kommunikation und Abwehrhaltungen zwingen. Die für's weihnachtliche Programm in Auftrag gegebene Neuadaption von "Schneewittchen", Thema des Stückes, verlangt Antworten. Wie queer darf es denn sein, wie kleiden wir das Beziehungsgeflecht von Prinzessin, Schwiegermutter und Prinz in ein neuzeitliches Geschlechtergewand? Und dürfen die Zwerge weiter Zwerge heißen? Die 'Farbpalette' der zur Wahl stehenden SchauspielerInnen nehmen selbstredend Einfluss auf alternativ und strittig vorgestellte Arrangements und Dramaturgien. Dass das Ganze leichtfüßig, ohne Peinlichkeiten, mit viel Witz und ordentlich Biss über die Bühne kommt, ist der großartigen Musik, den Texten und dem Spiel der DarstellerInnen zu verdanken. Es geht also. Spielend 'Diskurse' vom Rand der Feindseligkeit in eine lebendige, die Gefühle und Interessen der Beteiligten aufnehmende Auseinandersetzung zu überführen.
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