Die Foto-Kryptik kennt Gegenständlichkeit, aber sucht sie nicht. Darin ist sie der abstrakten Malerei verwandt. Diese „holt“ Sehgewohnheiten „aus der Routine“, erzeugt Interferenzen von Bildfläche und Bildgegenstand, experimentiert mit Farben und Formen, löst Gegenständlichkeit auf und macht die Betrachterin zur „Bildproduzentin“. Arnold Gehlen, Philosoph und Anthropologe, ist der Frage nachgegangen, was die abstrakte Malerei „eigentlich tut“ und wie sie „wirkt“. Er sieht ihren „Verdienst“ darin, dass sie Wahrnehmungsmechanismen anregt, die nicht „optisch-begrifflich“ operieren.
„Da das abstrakte Bild zugleich mit dem Gegenstand das Wiedererkennen abtrug, erscheint es als ‚irrational‘, und es entsteht die Frage, wohin die in unserer Anschauung beigegebene Begrifflichkeit abgewandert ist (...). So ist weiter zu fragen, in welchen Schichten der Seele die Bildwirkung eigentlich angreift – das sind diejenigen, welche unterhalb des Wiedererkennens liegen, also die gestaltpsychologischen (...), die Bereiche der unmittelbaren inneroptischen Reflexion und die den Zentren der Wortbildung naheliegenden (...). Es gibt, wie der Psychologie längst bekannt ist, eine unmittelbare und nicht ausgefaltete Rationalität des Auges selbst, mit der und an der diese Kunst experimentiert.“ *Sie macht, so Gehlen, Prozesse des Sehens sichtbar, die die 'innere Intelligenz' der Wahrnehmungsleistung offenbart. Gemeint sind damit all die Prozesse des Sehens, die in der alltäglichen Wahrnehmung ignoriert werden müssen, damit Handeln möglich wird.
* Arnold Gehlen, Zeit-Bilder, Zur Soziologie und Ästhetik der modernen Malerei, Frankfurt/M. 1986, S.16
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