Dienstag, 31. März 2009



So dicht liegen Α und Ω beieinander. Zu wahr, um schön zu sein. Dennoch kein Grund zur Trauer. Die kurze Spanne will schließlich mit Leben gefüllt werden!

Montag, 30. März 2009


Manches ’mal krude, aber immer gewitzt, überraschend, formbewußt und ein „Synapsen-Trainer“: die Werke unbekannter Künstlerinnen. Frischluft, volksnah, jedem Blick ausgesetzt, Eintritt frei, der Witterung trotzend und doch dem Verfall preisgegeben. Kunstnahme funktioniert - hier 'mal nicht in der Donaustraße, aber gleich um’s Eck in der Reuterstraße - an jedem Ort und über viele Medien.

Samstag, 28. März 2009

Es gibt Tage, an denen man kenntlich werden muß.

Donnerstag, 26. März 2009


Foto-Kryptik ist Methode, kein Stil. So hieß es unten. Sie nutzt, was an Technik verfügbar und “billig“ ist. Ohne Regel. Ein paar Ratschläge können dennoch hilfreich sein.
Rat 1: Aufnehmen, was immer die Aufmerk-
samkeit erregt. Auf Entfernung, Belichtung, stimmige Motive oder sonstiges kann, aber muss man nicht achten. Draufhalten, auch ohne Augensicht. Mit dem Arm reicht die Kamera an Stellen und Orte, die Auge und Gesicht nicht kennen. Jedes Resultat ist ein Resultat. Anschauen und ablegen. Motiviert es gleich zu weiterer Arbeit, nur zu. Wenn nicht, liegen lassen und später wieder aufgreifen.
Rat 2: Nicht beirren lassen durch Gutmeinende, die Schwierigkeiten haben, in Fotografien mehr zu sehen, als ein bloßes Abbild "der" Realität.
Rat 3: Die Instrumente zur Hand nehmen, die erreichbar sind. Nicht schielen nach all den schönen Dingen, die es für teures Geld zu kaufen gibt. Dies gilt für Kamera wie Zubehör gleichermaßen. Wer Word auf seinem Rechner nutzt, verfügt damit bereits über ein gutes Werkzeug für das Arrangieren, Verändern und Komponieren seiner Bilder. Andere Programme, etwa „billige“ Fotobearbeitungssoftware, sind ähnlich sinnvoll einsetzbar. Einfach mal experimentieren, überraschen lassen und Routine gewinnen. Photoshop kann nicht schaden, ist aber auch in alten Versionen in jeder Hinsicht brauchbar.
Rat 4: Intuition ist gefragt. Die Phantasie fliegen lassen. Auch hier gilt, keine Regel ist die richtige Regel. Das was gefällt, „stimmt“. Was "wehtut", kann auch "stimmen". Ausprobieren, aushalten, begutachten, liegenlassen, gegebenenfalls verändern oder verwerfen, wenn’s gefällt, rahmen, aufhängen, verschenken oder im Netz veröffentlichen.
(Teil V)

Dienstag, 24. März 2009


Die Donaustraße hat ein Dilemma. Gleich am Anfang. Von der Reuterstraße aus kommend, lässt es sich einsehen, die Donaustraße nicht. Ein kleiner Rechtsknick in Höhe der Pannierstraße hemmt den Blick. Erst danach verläuft sie schnurgerade und lässt Durchsicht bis zur Erkstraße. H. ist im Begriff, Geld gegen Sorgenerlaß in’s Dilemma zu tragen. 70’er Jahre Ambiente, rockgeschwängert, immer gut für’s letzte Bier vorm Frühstück. Die Tür bereits halb geöffnet, wendet sie sich, nach kurzem Blick in’s Innere, mir zu. Ja, sagt sie. Ich warte. Sie fängt alle ihre Sätze mit Ja an. Eine Art Einkehr. Inneres Sammeln und Ordnen, bevor Gedanken geformt sind und Sätze die Welt erreichen. Vermute ich. Kann natürlich falsch sein und lediglich Verlegenheit überbrücken. Am Anfang. Oder pure Gewohnheit. Ja, sagt sie. Vielleicht, fällt mir noch ein, ist’s die Vorsicht. Was raus ist, ist raus. Unwiederbringlich und ungeschützt. Wir brauchen, sagt sie, ein neues Modell. Ich runzele die Stirn, was ihr nicht verborgen bleibt. Das Parkhaus, sagt sie, ist ein Relikt der 60’er Jahre, kennt den Kreisverkehr von unten nach oben, von oben nach unten. Rein und raus im 24-Stunden-Rhythmus. Ein Versprechen von Freiheit. Die Etage suche ich mir aus. Oben, unten, egal, solange nicht alles belegt ist. Der „Eintritt“ wird rückerstattet. Vom Kaufhaus. Auto-Kratie. Hierarchie enthoben. Gleichwohl ein unwirtlicher Ort. Kalte Romantik. Nur Durchgang. Dunkel, kahl, beschämend für’s Auge. Baulich verdichtet, gestapelt, dem Platzmangel geschuldet, um der Mobilität willen. Und doch Ausdruck einer ganzen Epoche. Sie bremst ihren Wortfluß. Ich rätsele, was wohl kommen wird. Ja, ein neues Modell, sagt sie schließlich, den Blick senkend, müsste frei sein von Versprechen. Nüchtern. Sagt's und verschwindet im Dilemma. Ich staune.

Sonntag, 22. März 2009


Die Berlinische Galerie lädt ein, das Thema "Zeit" zu erkunden. AS TIME GOES BY. Sparsam, mit wenigen Exponaten im Raum und in Abstraktion und Zeitbezug gestaffelt. Ein gleichsam „pädagogisches Ausstellungunterfangen“, das nur im „Einverständnis“ von Ausstellungsmacherinnen und Besuchern funktioniert. Wer sich darauf einlässt, wird Spaß haben, entdecken, mitreisen, Zeit verlieren und entspannt die Halle verlassen. Also, Zeit und Gesprächspartnerin mitbringen!

Zwei sind gegangen. Sie hinterlassen, bisher nicht annähernd ausgeschöpft, ein reiches Erbe. Beide einte die Entschlossenheit, sich der Kunst „anzuvertrauen“. Diese Haltung schließt die Engführung mit Alltag, Kunstbetrieb und Publikumserwartungen aus.

"Ich schreibe“, sagt Hanne Darboven (1941 - 2009), „aber ich beschreibe nichts." Sie arbeitete daran, das Leben - ihr Leben - mit „Niederschriften“, später auch mit Musik, zu synchronisieren. Sich im „Entäußern“ festhalten, doppeln, der Welt - der eigenen - eine Struktur geben. Schreiben, unzählige Reihen auf Blättern festgehaltener Zahlen, häufig partiturhaft oder Objekten aufgesetzt. Bildreihe an Bildreihe, geronnene Zeit. Raumgreifend ausgestellt. Geordnet. Sie darf das, die Kunst: Erklärungslos bleiben, zuweilen auch „sinn“los, kryptisch. Folgen muß man ihr nicht. Darin verweigert sie der „Geschäftigkeit“ des Alltags und der Geschichte den Dienst. Und stößt doch unweigerlich die Frage nach „sozialer Orientierung“ in Raum und Zeit immer wieder an.

Das Werk von Roman Sprenger (1945 - 2009) scheint am entgegengesetzten Pol künstlerischen Schaffens zu stehen. Der klassischen, gegenständlichen Kunst verhaftet, ist das immer neue Ausloten des „Handwerks“ seine Passion. Radierungen, Druck, Malerei, Plastiken, analoge und digitale Fotografie. Zugänglicher für die Betrachter. Wechselnde Objekte. An Menschen ebenso interessiert wie an Natur und verspielt-experimenteller Objektgestaltung. Gegenwartsbezug und Gegenstandsdarstellung besitzen eine dem "Jetzt und Hier" enthobene Zeitachse. Das gesamte Œuvre durchzieht ein epischer Zug, den Blick weitend, in’s Detail führend, mit Feinsinn für die farbliche, stoffliche Gestaltung und reflektiertem Traditionsbezug. Den Kunstbetrieb hielt er sich, ähnlich wie Darboven, vom Leibe, ganz dem eigenen Werk verpflichtet.

Samstag, 14. März 2009


Serielle Fotokryptik. Auch hier steht „die Küche“ Modell. Foto 1 zeigt den Deckel einer Kaffeekanne mit Druckknopf. Foto 2 fängt die Lichtspiegelung in einem Schalenboden ein. Beides ist nicht unmittelbar erkennbar. Die „Ursprungsobjekte“ verlieren ihre Bedeutung. Was kann hier Spannung erzeugen? Zum einen der Kontrast von Form und Farbe, zum anderen der von Licht und Form bzw. hell und dunkel. Beide Bilder sind mehrfach dupliziert und in der Folge frei angeordnet. Serien erzeugen und faszinieren durch Redundanz. Redundanz vermittelt Sicherheit und Orientierung. Erträglich wird Redundanz durch kleine oder große Variationen. Abweichungen, an „denen sich das Auge bricht“. Irritationen. Spielerisch heben diese die Redundanz auf, in dem sie sie zugleich bestätigen.

Kamera: Sony DSC-P8. Modus bei Aufnahme: Automatik. Die Bearbeitungsschritte nach Ablage auf dem Rechner: (1) Bearbeitung zunächst in Word, (2) beide Bilder in Seite einfügen, (3) Bilder markieren, (4) Funktion Graphik formatieren: hinter den Text; danach sind die Bilder frei bewegbar; (5) Bilder kopieren, in Größe und Ausrichtung „zurechtziehen“ und anordnen, (6) speichern als jpg.Datei. Fertig. Die Bilder sind nicht nachbearbeitet. Wie bei den vorangegangenen Beispielen ist eins unabdingbar: mit Spaß an der Sache ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren, wenn's nicht gelingt, liegen lassen, später wieder aufnehmen.
(Teil IV)

Foto-Kryptik im Freien. Vor die Linse kommt, was immer das Wetter, die Landschaft, Menschen oder Dinge „hergeben“. In diesem Beispiel sind es zwei Aufnahmen mit schneebedeckten Ästen vor blauem Himmel. Das Motiv legt bereits Assoziationen nahe, die in die weitere Bearbeitung eingehen können: Nervenbahnen, Blutadern, Netzwerk, Landkarten, Tattoo. Kamera: Sony DSC-P8. Modus bei Aufnahme: Automatik. Die weiteren Schritte nach Ablage auf Rechner: (1) Bearbeitung zunächst in Word, (2) beide Bilder in Seite einfügen, (3) Bilder markieren, (4) Funktion Graphik formatieren: hinter den Text; danach sind die Bilder frei bewegbar; (5) anordnen und speichern (6) als jpg.Datei und in Photoshop laden;
weitere Schritte: (7) Farbton/Sättigung nutzen, (8) Malfilter: Kanten betonen, (9) Sonstige Filter: Verschiebungs-
effekt, (10) Rendering Filter einsetzen, (11) einzelne Bahnen nachkolorieren bzw. nachzeichnen. Fertig. Wie immer, bleibt noch: ausdrucken, rahmen, an die Wand bringen und wirken lassen. Weglegen geht natürlich auch.
(Teil III)




Ein bisschen Praxis in Foto-Kryptik. Wir sind umstellt von Gebrauchs-
gegenständen
, in die viel Arbeit - Handwerk, Ingenieurskunst und, insbesondere auch und häufig unauffällig, Design-Arbeit - eingegangen ist. Der Toaster etwa hat eine Außen-, wie auch eine Innenhaut, eine Außen-, wie auch eine Innenansicht. Letztere „sieht“ man nicht, obwohl sie permanent „präsent“ ist. Als Gebrauchsgegenstand begleitet der Toaster uns täglich, leistet gute Dienste, um schließlich, sollte er nicht mehr funktionieren, auf dem Müll zu landen. Das obige Bild besteht aus drei Aufnahmen. Kamera: Sony DSC-P8, 3.2 Megapixel, 6 Jahre alt, gebraucht günstig zu erwerben. Modus bei Aufnahme: Automatik. Für das Bild wurden 3 Fotografien genutzt. Foto 1 und 2 (von rechts nach links) öffnen, die Kamera knapp über dem Broteinschub bzw. Auswurf gehalten, den Blick auf das „Innere“. Bild 3 entstammt ebenfalls der Küche. Mit der Makroaufnahme eines Brotschneidemessers ist die Kamera absichtlich und sichtlich „überfordert“. Die Unschärfe ist das, was das Bild spannend macht. Es entsteht Struktur. Sie steht für sich, hat ein „eigenes Leben“ und kann objektunabhängig genutzt werden.



Die weiteren Schritte nach Ablage auf dem Rechner: (1) Bearbeitung zunächst in Word, (2) alle 3 Bilder in Seite einfügen, (3) Bilder markieren, (4) Funktion Graphik formatieren: hinter den Text; danach sind die Bilder frei bewegbar; (5) anordnen und in Größe und Ausrichtung „zurechtziehen“ und (6) speichern als jpg.Datei (bspw. mit PDFCreator). Fertig. Die Arbeit mit „Word“ mag merkwürdig anmuten. Entscheidend in unserem Zusammenhang ist schlicht die Verfügbarkeit und Praktikabilität. Die Bilder sind nicht nachbearbeitet. Nun bleibt nur noch: ausdrucken, rahmen, an die Wand bringen und wirken lassen.
(Teil II)

Montag, 9. März 2009


Die Fotografie ist zu einer Alltagsbeschäftigung geworden. Das war sie schon immer, soweit es um Ferien- und Familienfotos ging. Anders verhält es sich mit der Kunstfotografie. Sie ist förmlich >explodiert<. Nicht zuletzt der Übergang von anlogen zu digitalen Medien hat diese Entwicklung vorangebracht, ja man muß sagen, förmlich provoziert. Handhabung und Kosten sind die Parameter, die ein Arbeitsfeld abschirmen, zum exklusiven Geschäft einiger Enthusiastinnen bzw. zu einem geachteten Beruf machten und machen. Entdeckergeist + Investition + Zeit + Erfahrung + Traditionsbildung + Handwerk mit Ausbildungsordnung + Industrialisierung + Produktentwicklung und Produktvervielfältigung + Erhebung in den Kunststand + Errichtung von Lehrstühlen. Danach folgt - auf der Ebene der Kunsthochschulen - das Periodisieren, Katalogisieren, die Kanonbildung, Sophistik, die Schulenbildung und das Weiterreichen von Erbhöfen. Im „richtigen Leben“ folgt häufig ein Niedergang des klassischen Handwerks, eine „Vermassung“ und „Hobbyisierung“. Aus „Kunst-Tempel-Sicht“ vielleicht beklagenswert, setzt die allseitige Verfügbarkeit allerdings neben millionenfacher Kopie und privatem Nippes zugleich Neues, Ungeahntes, Noch-Nie-Gesehenes, an welchem Ort der Welt auch immer, frei. Das ist so banal wie selbstverständlich. Wo viele Menschen etwas in die Hand nehmen, wird es ebenso viele Ergebnisse - gute wie schlechte, schöne wie hässliche - geben. Rar macht sich gegebenenfalls - kränkend nur für die, die an Kunst „glauben“ - die Aura, das Erratische, die Magie, das Transzendente und Einmalige, mithin individuell zurechenbare. Was ja nicht heißt, dass uns nichts mehr berührt! Nur „epochentypisch“ springt uns nichts mehr an. Erfahrungen, in Kunst verdichtet, sind weitgehend kontextgebunden, milieuspezifisch verortet und lebenszyklisch geordnet. Nicht zu vergessen, marktgesteuert, geldaffin und global verfügbar. Ein Nischendasein fristet die Foto-Kryptik. Das ist nicht schlimm, nicht einmal besonders erwähnenswert. Im Gegensatz zu ihren älteren Geschwistern - der Dokumentar-, Reportage-, Porträt-, Industrie-, Architektur-, Werbe-, Mode-, Akt-, Natur- und Landschafts-, Genre- und experimentellen Fotografie - ist sie theorie- und geschichtslos, lebt von bloßer Intuition, erhebt keinerlei Ansprüche und ist ein Kind der digitalen Reproduktionstechnik.
Die Kryptographie als Teil der Kryptologie ist die uralte Kunst, Methoden zur Verschlüsselung von Nachrichten zu entwickeln. Sie ist die Verbündete von List, Tücke und Überrumpelung und Teil - allseits bekannt ist die Geschichte der Verschlüsselungsmaschine „Enigma“, die von der deutschen Wehrmacht im 2. Weltkrieg eingesetzt wurde - jeder Kriegsführung. Die Kryptoanalyse dient der Entschlüsselung dieser Nachrichten. Eine Wissenschaft, die insbesondere mathematischen Verstand erfordert. Die Foto-Kryptik verschlüsselt, sofern sie (1) darauf verzichtet, ein Bildobjekt als selbstverständliche und unhintergehbare Referenz zu setzen. Ob sie dies bewusst tut, spielerisch, alles dem Zufall überlässt, spielt dabei keine Rolle. Der Kameragebrauch ist (2) atypisch. Sie ist schlichtes Werkzeug. Wer „schwarz“ mag, drückt den Auslöser der Kamera, wenn sie in der Tasche liegt. Für die Bildentwicklung und Bild(nach)bearbeitung gilt (3) dasselbe. Die „Komposition“ fragt nicht nach Referenz, sondern nach Gestaltung. Die „Entschlüsselung“ liegt (4) ganz bei der Betrachterin. Die Ergebnisse sind „kontext - entbunden“, in gewissem Sinne leer. Sie regen zunächst die Augensinne an, der Verstand arbeitet nach. Die Betrachterin schafft Ordnung, verbindet, stellt Zusammenhänge her, ruft Ähnlichkeiten ab oder lässt es. Es - das Foto - gefällt, regt an, verwundert, erzeugt Spannung oder verbleibt – wie so vieles – unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle.
Foto-Kryptik ist Methode, kein Stil. Sie nutzt, was an Technik verfügbar und “billig“ ist. Ohne Regel. Nichts definiert, was, wann und wie aufgenommen wird. Was dabei rauskommt, wird “sich” zeigen. Verwerfen darf man alles. Danach geht’s weiter. Die Frage der Öffentlichkeit - warum und für wen - stellt sich nicht. Es >passiert<, was der Produzentin oder dem Macher gefällt. Was danach kommt, kommt oder kommt nicht. Foto-Kryptik ist technisch bedingt. Der “Apparat” begrenzt, bei unbegrenzten Wahlmöglichkeiten. In Farbton, Aufnahmewinkel, Belichtung, Objektwahl, Ausschnitt, Nutzung und Nachbearbeitung. Aufnehmen lässt sich allerdings nur, was vor die Linse „passt“.
( Teil I )

Sonntag, 8. März 2009

Faustisch


Immer mal wieder steht „Faust“, in der Inszenierung von Thalheimer, auf dem Programm des Deutschen Theaters. „Sprechtheater“, klamaukfreie Zone. Ganz auf die Konzentration der Zuschauer setzend, dabei nicht ohne Spaß. Spaß an der Sprache, am Dialog, im Glauben daran, dass dem Text „nichts und niemand“ etwas anhaben kann. Sparsamste Bewegungen, karge Bühne, die kongenial das „Geschehen“ rahmt, Rezitation auf hohem Niveau. Mit Witz und Verve geht das Ensemble zur Sache, gibt sprachlich Tempo, wo immer nötig und dosiert stimmliche Intensität und Wortklang, wenn Lamentieren und Klagen, Überschwang und stiller Monolog es erfordern. Die Studierstube, schwarz in schwarz, lässt nur im Hintergrund ahnen, das sich „da draußen etwas bewegt“. Sie öffnet sich schließlich, um Raum im Raum, ja Weite anzudeuten, enthält aber nicht mehr als ein Bett. Sinnbild für das Begehren, das, einmal in die Welt gesetzt, im sittlich verfassten Kodex mit Faust's "Weltendrang“ kollidiert.
Thalheimer entscheidet sich früh für (s)eine Interpretation. Mephisto betritt die Bühne, „verschmilzt“ zu einer Figur mit Faust. Ein schönes Bild. Nichts anderes kann Faust mehr tun, als sich zu entzweien. Fortan ist er mit sich selber im Gespräch. Ein innerer als äußerer Dialog. Selbstreflexiv und zerrissen, drängend und doch dem stillen Glück im Winkel verhaftet, fordernd und fürchtend, dem Spiel mit allem, dem Verwerflichen zumal, zugetan, entgrenzend im „Wissen-Wollen“ und zugleich zaghaft im Handeln. Volksmythen, Romantik, Aufklärung und Wissenschaft, Religion, Sittengemälde und Kabarett. Goethe quirlt und schüttelt im Faust, was an sozialen, moralischen und religiösen Paradoxien wie ein untergründig anschwellendes tektonisches Beben auf das Ende der einen und den Beginn einer neuen Zeit drängt. Eine Art Geburtsstunde, der wir hier beiwohnen. Keine Blaupause, um der Ratlosigkeit, die heute allenthalben herrscht, beizukommen. Aber eine Aufforderung, den Verstand ins Recht zu setzen und - alle „menschlichen“ Untiefen auslotend - Bilanz zu ziehen. Anschauen und zuhören.